TONSPUR IN BERLIN
Klangarbeiten auf dem Schloßplatz zu Berlin
Ein Projekt von Georg Weckwerth und Peter Szely

Wechselnde Klangarbeiten internationaler KünstlerInnen in der
„Übergangsnutzung Schloßareal Berlin“. Ihre mehrkanaligen,
das übliche Stereobild aufhebenden Kompositionen erschaffen
faszinierende Klangarchitekturen und begehbare Tonräume.


TONSPUR 30
Via Lewandowsky [D]
Na, Bravo (Encore), 2009
8-Kanal-Komposition
Länge 10 min.
Applaudierende: Andrea Splisgar, Via Lewandowsky
Tontechnische Beratung: Florian Kühnle
Technik: Peter Szely, Nickolaus Wolters



11.07.09–10.10.09
Schloßplatz Berlin/Mitte
Banklinie zwischen Berliner Dom und Hochschule für
Musik Hanns Eisler
Täglich 08–22h [zweimal je Stunde]
Eröffnung: Fr 10.07.09, 11.30h
Einleitende Worte:
Regula Lüscher [Senatsbaudirektorin in der Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung, Berlin]







NA, BRAVO (ENCORE)
Es gibt Orte, an denen man nicht applaudiert. Zum Beispiel auf dem Friedhof. Dort ist das Schweigen eine angemessene Form der Würdigung. Dabei gäbe es auch hier genügend Gründe vor dem einen oder anderen Grab posthume Anerkennung durch das Aufeinanderschlagen der Hände Ausdruck zu verleihen. Doch durch die Abwesenheit des zu Beklatschenden fällt es uns schwer, darin einen Sinn zu sehen. Wenn man nun mit künstlerischen Mitteln das tut, was man als deplaziert bezeichnen würde, erreicht man ein interessantes Ergebnis: Besinnung. Nichts anderes will die Klanginstallation auf dem Schlossplatz, ein Ort voller denkwürdiger Momente. Die digital herbeigeschafften PLAUSORES (in der Antike hoch bezahlte Claqueure) werfen die Frage auf: warum, für wen wird jetzt hier applaudiert? Der Ort ist leergeräumt; Baufreiheit in Form einer temporären Liegewiese ist doch mehr besinnlich als anerkennungswürdig. Es kann also nur um die Abwesenheit gehen. Abwesenheit von dem, was hier war und hier sein wird. Der vom ‚Band‘ abgespielte Beifall könnte als Animation wie bei einer Talkshow oder Soap Opera gemeint sein oder daran erinnern, dass hier schon öfters aus sehr unterschiedlichen Gründen applaudiert wurde. Die zehnminütige Applauskomposition besteht aus zwei Applaudierenden, deren unterschiedliches Klatschen technisch vervielfacht wurde. Das damit entworfene Klangbild reicht vom realistischen Beifallssturm bis zur abstrakten Soundkulisse. Denn das Geräusch des Klatschens zählt zu den problematischen Sounds, akustischer Abfall, ein Störgeräusch. Nur der Kontext lässt uns erkennen, worum es sich handelt. Wenn Schall und Ursprung zeitlich und räumlich voneinander getrennt sind, entsteht ein assoziativer Freiraum. Kleine Abweichungen von der identischen Wiedergabe eines typischen Applauses reichen aus, um den Zuhörer in die Irre zu führen. Das nutzt die elektronische Komposition aus und lässt Regen niederprasseln, Stiefel im Stechschritt über einen fiktiven Platz marschieren oder das Rauschen von Kurzwellensendern erklingen. Dabei spielt der Rhythmus bei den Klangbilderrätseln eine entscheidende Rolle. Einmal glaubt man Flamenco-Rhythmen zu hören; ein andermal wähnt man sich vor der Tür eines typischen Berliner Techno-Clubs zu stehen. So kann uns ein einfaches Klatschen Geschichte und Zeitgeschehen vor Augen führen.
Via Lewandowsky, Juli 2009

BIOGRAPHIE
Via Lewandowsky, geboren 1963 in Dresden, lebt und arbeitet in Berlin.
vialewandowsky.de
























































TONSPUR 30
Nach bald sechs Jahren und 29 produzierter Mehrkanal- Kompositionen internationaler Künstlerinnen und Künstler, eröffnet „TONSPUR für einen öffentlichen raum“ – in Zeiten der Krise und klammer öffentlicher Kassen – einen zweiten Spielort. Unter dem Titel TONSPUR IN BERLIN – Klangarbeiten auf dem Schloßplatz zu Berlin, werden mit 10. Juli 2009, an nicht irgendeinem Berliner Ort, Stücke für acht Lautsprecher gespielt, die im Vierteljahr-Rhythmus wechseln. Auf unbestimmte Zeit werden also neben dem Wiener MuseumsQuartier, wo augenblicklich die Arbeit der Berliner Künstlerin Christina Kubisch läuft, auch im Herzen der Kapitale Berlin eigens für einen öffentlichen Raum produzierte Klangwerke zu hören und zu erleben sein (mehr dazu im Basistext). Zum ersten Berliner Stück: Die zeitgenössische deutsche Moderne und Gegenwartskunst ist auch geprägt durch die Ost-West-Vergangenheit des Landes sowie die Herkunft und jeweiligen Lebens- und Arbeitsorte seiner diversen Protagonisten. Bei einem Platz wie dem Schloßplatz, auf dem bis vor kurzem noch das dem Volk gewidmete Repräsentationsgebäude der Deutschen Demokratischen Republik stand, muß dies ein Thema sein. Eröffnet wird die Berliner TONSPUR-Reihe in dieser Hinsicht mit einem der profiliertesten, vielseitigsten und spannendsten deutschen Künstler, dem Bildenden Künstler Via Lewandowsky. 1963 im Dresden der DDR geboren und dort zum Künstler ausgebildet, übersiedelt er kurz vor der Wende nach Westberlin, wo er bis heute lebt und arbeitet. Seine TONSPUR 30 mit dem schönen, weil mehrdeutigen Titel „Na, Bravo (Encore)“, basiert auf seinem eigenen Applaus sowie dem Applaudieren seiner Nachbarin Andrea Splisgar. Lewandowsky’s zehnminütiges Werk öffnet einen Kosmos von Assoziationen mittels Klang. Es verleiht dem was war, was ist und was wird an diesem besonderen Ort, der nun für den Zeitraum X eine gestaltete Landschaft ist, Raum in Form eines Hörraums, der zum Denkraum wird. Ein würdiger und eindrucksvoller, aber auch polarisierender Auftakt auf dem Platz der Plätze, im 20. Jahr der deutschen Einheit. Folgen wird im Oktober die Arbeit des aus dem geteilten Korea stammenden Komponisten und derzeitigen DAAD-Gastes Suk-Jun Kim.

TONSPUR IN BERLIN
Das TONSPUR IN BERLIN möglich wurde, dafür gilt es zu danken: Allen voran dem Büro relais Landschaftsarchitekten als den Planern und Gestaltern der „Übergangsnutzung Schloßareal Berlin“, für ihre Offenheit gegenüber unserem Vorhaben. Der Senatsbauverwaltung Berlin und der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungs- gesellschaft [DSK] gilt unser Dank für die in weiterer Folge ergangenen Genehmigungen; Coco Kühn wiederum für den im Jahr zuvor gelegten Kontakt. Den Kollegen der Firmen Hartmann, Hunold und Tischer sei für die gute Zusammenarbeit vor Ort am Schloßplatz herzlich gedankt. Es bedarf vor allem offener und weitsichtiger Förderer, ohne deren Zuwendungen ein solches Projekt nicht möglich wäre: Hier ist vor allem zu danken der Kunstsektion im Österreichischen Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur [bm:ukk], die das Projekt TONSPUR seit seinem Start im September 2003 unterstützt, in seiner Entwicklung begleitet und nun den Start in Berlin mitfinanziert. Ein intensives Gespräch reichte aus, um das Österreichische Kulturforum Berlin für unsere Sache zu begeistern, mit dem Resultat der Förderung der zwei österreichischen Positionen im ersten Jahr TONSPUR IN BERLIN von Peter Ablinger und Friederike Mayröcker. Ein besonderer Dank gilt dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD, das auf der einen Seite künstlerbezogen unterstützen, darüber hinaus durch seine Reputation und sein Netzwerk dem Projekt in Sachen Resonanz helfen wird. Unser ganz persönlicher Dank gilt drei Mitstreitern vor Ort in Berlin: Florian Wachinger für fortwährenden Ansporn und perspektivische Überlegungen; Florian Kühnle für tontechnisches Knowhow bei den diversen Akustikproben sowie für sein Engagement bei der Realisierung des Stücks von Via Lewandowsky; Frank Paul wiederum für seine unentbehrliche Mithilfe bei den schweißtreibenden Montagearbeiten am Platz, inmitten von den Geist der Geschichte verwirbelnder Staubwolken, als auch für die Gestaltung der noch im Aufbau befindlichen neuen TONSPUR-Webseite. Dank gilt weiters Burghard List und Jonathan Quinn in Wien für grafische Arbeit und Übersetzungen sowie Nickolaus Wolters in Berlin für technische Nothilfe. Peter Szely sei herzlich gedankt, daß er den Entschluß für Berlin als zweiten Spielort neben Wien mitträgt. Dafür ein doppeltes „Here we go!“ Last but not least sei all unseren Künstlern gedankt. Ohne sie kein Projekt. Besonders möchten wir uns bei Via Lewandowsky als dem Gestalter der ersten Berliner TONSPUR bedanken. „Die Zusammenarbeit mit Dir hat ganz großen Spaß gemacht“. Bleibt noch festzuhalten: TONSPUR hat jetzt einen Koffer in Berlin. Das freut!

TONSPUR FÜR EINEN ÖFFENTLICHEN RAUM
Tonspur, dieser klassische Fachbegriff aus den visuellen und akustischen Medien, ist Titelgeber eines für Berlin neuartigen Projekts mit wechselnden Klangarbeiten für einen öffentlichen Raum. Was der White Cube für die Bildende Kunst, ist für die Klangkunst – dieser grenzüberschreitenden Gattung aus Bildender Kunst, Medienkunst und Musik – der urbane, öffentliche Raum. Der Schloßplatz zu Berlin ist ein solcher öffentlicher Raum und ein besonderer dazu. Im Herzen der deutschen Hauptstadt, die sich seit der Wiedervereinigung vor bald 20 Jahren erneut zu einer der aufregendsten europäischen Metropolen entwickelt hat, birgt der Schloßplatz Zeit-, Stadt- und Architekturgeschichte pur. Sowohl in der aktuellen temporären Widmung einer gestalteten Landschaft als auch als angestammter Platz für das wiedererstehende Berliner Stadtschloß, das den Namen „Humboldt-Forum“ tragen wird, kommt dem Schloßplatz zu Berlin eine exponierte, die Grenzen der Stadt überschreitende Bedeutung zu.
Wie die barocke Passage im denkmalgeschützten Fischer-von-Erlach-Trakt der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen in Wien – seit 2002 MuseumsQuartier Wien und seit 2003 Heimstatt von „TONSPUR für einen öffentlichen raum“ – so kreuzt man auch den Berliner Schloßplatz automatisch auf seinem Erkundungszug durch die Kapitale zwischen Museumsinsel, Lustgarten, Spreeinsel und Alexanderplatz. Eigens für diesen Ort wechselvoller deutscher wie europäischer Geschichte, entwickeln und realisieren internationale Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der TONSPUR-Reihe computergesteuerte Klangarbeiten. Ihre mehrkanaligen, das übliche Stereobild aufhebenden Kompositionen erschaffen faszinierende Klangarchitekturen und begehbare Tonräume. TONSPUR erweitert substantiell die besonders in Berlin vielfältig geführte Auseinandersetzung mit Klang als plastisches und formbares Material der zeitgenössischen Kunst. Das Projekt vereint die Künstler verschiedener Disziplinen klanglich und führt parallel sein Publikum an einen erweiterten Rezeptions- und Kunstbegriff heran. In diesem Sinne richtet sich „TONSPUR für einen öffentlichen raum“, in Wien wie in Berlin, an all jene Menschen, die der Kultur und der Kunst mit offenen Augen und Ohren begegnen.
Georg Weckwerth, Juli 2009