TONSPUR 37
„Ah, guten Tag, ach Sie sind der mit dem Ton am Schloßplatz“, mit diesen Worte begrüßte mich Christoph Schlingensief am 14. Juni 2010 im Arsenal des Wiener Burgtheaters nach der zweiten Aufführung seines Stücks „Via Intolleranza II“. Vorausgegangen waren diesem ersten und einzigen Treffen über mehr als ein Jahr dauerende intensive Bemühungen, diesen so vielbeschäftigten, omnipräsenten Künstler „mit wichtiger Stimme“ für unsere Reihe „TONSPUR für einen öffentlichen raum“ zu interessieren in der Hoffnung, ihm eine Klangarbeit zu entlocken und diese aufzuführen auf dem Schloßplatz, in seiner Wahlheimat Berlin. Leider kam es dazu nicht mehr. Christoph Schlingensief erlag wenige Wochen nach dieser Begegnung seiner schweren Krebserkrankung. Ich hatte vorgeschlagen, daß großartige, von ihm iniziierte „Operndorf Afrika“ in Burkina Faso als Klanglandschaft auf den Schloßplatz zu übertragen. Dazu angeregt hatte mich sein Entwurf, ein afrikanisches Hüttendorf vor dem wiedererrichteten Stadtschloß, dann Humboldt-Forum, als Kunst im öffentlichen Raum zu errichten. Sehr gerne hätte ich mit diesem so klugen, fantasievollen und rastlosen Künstler gearbeitet.
Die für einige Wochen exakt bis zum Einläuten des Neuen Jahres zu hörende TONSPUR 37 ist Christoph Schlingensief gewidmet. Die Idee war, den Titel seines Krebstagebuchs „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ sinnbildlich aufzugreifen und seinen Geburtstag – es wäre sein 50. gewesen – akustisch festzuhalten: Wind und Wetter, den Klang der erwachenden Stadt in Berlins Mitte, die Geräusche und Gespräche der vorbeiziehenden Passanten auf dem Schloßplatz, die Krähen wie sie morgens in tausendfacher Zahl den Tag eröffnen und ihn mit dem gleichen Flug- und Klangspektakel am Abend wieder beschließen, die Geräusche der hereinbrechenden Nacht. Darüberhinaus habe ich Passanten angesprochen, befragt und eingeladen, eine Seite aus eben jenem Tagebuch, das viel Aufmerksamkeit erlangt hat, zu lesen und so Chistoph Schlingensief „eine Stimme“ zu geben.
Der 24.10.2010 begann als regnerischer, stürmischer Tag und endete in einer ruhigeren, trocken-kalten Vollmondnacht. Es haben sich wunderbare Momente ergeben in den 1440 Minuten für Christoph Schlingensief, die ungeschnitten, mit einigen technisch bedingten „Leerstellen“, in Echtzeitwiedergabe zu hören sind.
Vielleicht hört Christoph Schlingensief mit...
Georg Weckwerth, November 2010
DARF ICH SIE ETWAS FRAGEN
Text Georg Weckwerth – öffnen