TONSPUR IN BERLIN
Klangarbeiten auf dem Schloßplatz zu Berlin
Ein Projekt von Georg Weckwerth und Peter Szely

Wechselnde Klangarbeiten internationaler KünstlerInnen in der
„Übergangsnutzung Schloßareal Berlin“. Ihre mehrkanaligen,
das übliche Stereobild aufhebenden Kompositionen erschaffen
faszinierende Klangarchitekturen und begehbare Tonräume.


TONSPUR 35
Friederike Mayröcker + Bodo Hell [A]*
vom Umarmen des Komponisten
auf dem offenen Soffa, 2010**
8-Kanal-Hörstück
Länge 35.20 min.
Ton: Martin Leitner
*unterstützt durch Österreichisches Kulturforum Berlin
und Berliner Künstlerprogramm des DAAD
**in Kooperation mit Radio Österreich 1
und ORF Kunstradio



31.05.10–25.09.10
Schloßplatz Berlin/Mitte
Banklinie zwischen Berliner Dom und Hochschule für
Musik Hanns Eisler [nahe der Humboldt-Box]
Täglich 08–22h [zur vollen Stunde]
Eröffnung: So 30.05.10, 11.30h
Einleitende Worte:
Georg Weckwerth [Künstlerischer Leiter TONSPUR]
Katharina Narbutovic [Leiterin Berliner Künstlerprogramm
des DAAD] – lesen


TONSPUR IN VIENNA






VOM UMARMEN DES KOMPONISTEN AUF DEM OFFENEN SOFFA
Habe heute viel grammophoniert, so die Pianistin, Werke von Schumann, Brahms, Chopin und Bach, (84) am liebsten zu zweit hin und her gewandert zu den bemerkenswertesten Bauten der Stadt und hatte so 1 Röckchen = blaues Faltenröckchen an, damals mit 8, neben dem Seerosenteich in der Privatschule, so die Pianistin, (85) zu den Ikonen der damaligen Moderne, im Zentrum, in den Mustersiedlungen auf den Hügeln des Westens nach Anregungen fürs Bauen im Heute gesucht, sollte auf dem Schulklavier etwas von Chopin spielen, zitterte so und atemlos dasz ich nicht spielen konnte wofür ich mich schämte, (86) ein architektonischer Paarlauf als Augenschmaus bis zur Körper-Erschöpfung "my mountain flower", so der Komponist zur Pianistin. (87) 'ja sag ja meine Bergblume', und sie hat mir als erstes ihre Arme um den Hals gelegt Möchte wieder ins "Drechsler" und lange aus dem groszen Fenster starren auf die Blumen Momente von gegenüber die kl. Erker staubigen alten Laubs. ("do it in the bath", Jacques Derrida) (88) als Fazit ließe sich sagen: habe gut geduscht, sowohl am Beginn und als auch am vorläufigen Ende dieses meines halbwegs mißglückten Sexuallebens, Knospe des Fleisches, (89) 'Gnoske des Vorfrühlings' (Ponge) so der Komponist, und wie sich immer der Staub in der Nabelgrube ansammelt, nicht wahr, (90) auch im vorgerückten Alter lernt man Neues dazu ach ich, dieses elektrische Ich, so der Komponist, die Tasten schlagend, (91) habe die Verblendungen/Blindheiten wohl ansatzweise beseitigt, in diesen raren hingebungsvollen Momenten haben wir uns nicht immerzu mit unserer verrückten Liebe angesteckt, so der Komponist (salutierend) – (92) somit: Apotheose des Aufkeimens, des Ausbrechens der fraglosen Blütenpracht/Lebenskraft, in säftesteigender vegetabiler Umarmung, multipler Wachstumsverschwendung dasz ich mich letzten Endes VERDUFTE mit den 1. Magnolien dieses Frühlings, so der Komponist, auf dem offenen Soffa sich wälzend
Friederike Mayröcker [Auszug aus TONSPURPROSA] März/April 2010
Bodo Hell (1–92) vom Einflüstern, Vorahnen, Nachhall Lauschen 2010

TEXTE
Friederike Mayröcker – lesen
Montage Mayröcker/Hell – lesen

BIOGRAPHIEN
Friederike Mayröcker, geboren 1924 in Wien, lebt und arbeitet in Wien. Die Schriftstellerin hat 1970 und 1973 als Gast des Berliner Künstlerprogramms in Berlin gelebt.
wikipedia.org
Bodo Hell, geboren 1943 in Salzburg, Autor und Alpenhirte, lebt und arbeitet in Wien und am Dachstein.
bodohell.at






TONSPUR 35
Schweigen… das ist das Leitwort beim Schreiben dieser Zeilen, entlehnt bei ihr und dem aktuellen Film „Das Schreiben und das Schweigen“ mit ihr, der Grande Dame der österreichischen Literatur, Friederike Mayröcker [*1924, Wien].
Schweigen… ob der Sprachmächtigkeit einer unfaszlichen Virtuosin der Gedanken, Worte, Sätze usw. Schweigen… beim Lauschen ihrer Stimme, betörend kreisend um Musik, den Komponisten, Schumann. Schweigen… und Friederike Mayröcker danken für ihre traumwandlerische [TONSPUR-] Prosa „vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa“ –. Diese wiederum auf Augenhöhe parallel verdichtet von einem ihr eng verbundenen Schriftsteller, Bodo Hell [*1943, Salzburg], dem für sein „vom Einflüstern, Vorahnen, Nachhall Lauschen“ ebenso von Herzen zu danken ist.
Schweigen… und sich freuen über eine TONSPUR wie wir sie noch nicht hatten, über ein Werk, welches – da bin ich sicher – viele Passanten, Menschen in Wien wie in Berlin zum Schweigen weil zum Zuhören, zum Worte-Sehen veranlassen wird. Welch' reizvoller, poetischer Gedanke.

Georg Weckwerth, Mai 2010